Pubertäres Raufen im Zeltlager. © dpa / Barbara Gindl Jörg Hartmann, den die "Tatort"-Fans als Dortmunder Kommissar Faber kennen, zeichnet den Weg des Lehrers von der Feigheit zur Wahrheit zur Emigration einfühlsam nach. Gemeinsam mit Laurenz Laufenberg als Pfarrer gestaltet er eine spannende Szene über die Frage nach dem Umgang der Kirche mit den Mächtigen. Lukas Turtur, lange Zeit am Münchner Residenztheater zu sehen, zeigt behutsam, dass der Richter ein Mann ist, der neben den Paragrafen auch seine Prinzipien kennt. Brauner wird’s nicht: Horváts „Jugend ohne Gott“ in Salzburg - WELT. Und Veronika Bachfischer beeindruckt durch ihre unaufgeregte Wandelbarkeit. Ja, es ist eine Freude, den acht Schauspielerinnen und Schauspielern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Ostermeier zwingt die Geschichte in die Dreißigerjahre zurück Allerdings hat der zweieinviertel Stunden lange Abend (keine Pause) ein echtes Problem: Die Stärke des Romans ist, dass Horváth zwar unter dem Eindruck des Nationalsozialismus geschrieben hat, ihn jedoch nicht benennt. Eben dieser Kunstgriff hebt "Jugend ohne Gott" aus dem historischen Kontext der Entstehung und macht das Buch zeitlos.
Die Gorki-Fassung ist ganz auf die Schüler zugeschnitten: durch die Pubertät ohnehin verunsichert, finden sie keinen Halt mehr. Ihnen fehlen Normen und Vorbilder, die Eltern-Generation hat ihnen keinerlei Wert-Maßstäbe vermittelt. Soweit ist Müller nah an der Horváth-Vorlage. Die Kriminal-Geschichte der Mord-Ermittlungen spielt bei ihr aber nur eine untergeordnete Rolle. Sie wählte einzelne Motive des Romans aus, die sie in neuer Reihenfolge anordnet und mit Buzzwords aus aktuellen Debatten wie Klimakrise, Afghanistan-Einsatz oder Anschlag auf Flüchtlings-Wohnheime anreichert. Schaubühne – Jugend ohne Gott. Von der Orientierungslosigkeit dieser Jugendlichen erzählen Regisseur Erpulat und seine Choreographin Modjgan Hashemian, indem sie ihre Spieler*innen knapp zwei Stunden lang zwischen Monologen und Spielszenen immer wieder atemlos kreuz und quer durch die Halfpipe rennen lassen. Ihre "Jugend ohne Gott"-Inszenierung ist hochenergetisch und zeichnet das Bild einer völlig entwurzelten Generation. Darüber hinaus bleibt der Abend aber recht beliebig und hat wenig zu erzählen.
Dieser Einstieg in den Abend passt aber auch deshalb gut, weil er eine Facette von Ödön von Horváths Biografie spiegelt, auf die uns das lesenswerte Programmheft aufmerksam macht. Horváth, der sich mit sozialkritischen Volksstücken in der Spätphase der Weimarer Republik einen Namen gemacht und den Zorn der Nazis zugezogen hat, lavierte nach der Machtergreifung der Nazis. Er knüpfte Kontakte ins Exil, versuchte aber auch in der von Goebbels und seinem Propagandaministerium gehätschelten Filmbranche Fuß zu fassen und antichambrierte, um in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen zu werden. Jugend ohne gott schaubühne kritik 2. Diesen Gewissenskonflikt, ob er sich mit dem faschistischen System und seinem militärischen Drill arrangieren oder seine Festanstellung inklusive Pensionsansprüchen aufs Spiel setzen soll, durchlebt auch der namenlose Lehrer, der als Ich-Erzähler in inneren Monologen durch den Roman-Plot führt. Schaubühnen-Ensemble-Mitglied Jörg Hartmann legt die Rolle dieses Lehrers ganz so an, wie ihn ein Millionenpublikum aus seiner Nebenbeschäftigung als Dortmunder Tatort-Kommissar kennt: mit Sorgenfalten und Augenringen, die erahnen lassen, dass er einiges durchgemacht hat, in seinen minimalistischen Gefühlsregungen jedoch immer darauf bedacht, nicht zu viel von sich preiszugeben, aber letztlich mit dem Herz am rechten Fleck und auf der richtigen Seite stehend.
Damit schmilzt sein Schutzschild, das ihn vor übereifrigen Schülern und deren nazitreuen, mißtraurischen Eltern unangreifbar machen sollte, und er setzt nach altem klassischen dramaturgischen und empirischen Gesetz eben doch jene Maschinerie in Gang, der er entrinnen wollte. Sein Zögern und Zaudern, sein verdrängtes Ehrgefühl für Gerechtigkeit und die Verteidigung von wahrhaftiger Historie und sprachlicher Exaktheit verfängt sich in seiner mangelnden Zivilccourage als er der politischen Korrektheit trotzt und in dem Aufsatz zum Deutschen Kolonialismus einem Schüler die Formulierung der rassischen Minderwertigkeit afrikanischer Einwohner, wenn auch nur ansatzweise, zaghaft redigiert. Doch dieses kleine "Vergehen" wird ihn die Existenz kosten. Jugend ohne gott schaubühne kritik. Denn der regimetreue Vater des betroffenen Schülers protestiert, der Schüler muckt auf, die Klasse formiert sich gegen den "Herrn Lehrer", der den aufziehenden Sturm nicht wirklich ernst nimmt, wohl aber zunehmend verunsichert ist. Auch sein kurz vor dem Ruhestand stehender Direktor kann ihn nur zum Schweigen raten.