Lebensansichten des Katers Murr (von Hoffmann, E. T. A) - Inhaltsangabe und Zusammenfassung sowie Interpretation und Charakterisierung des katers und wichtiger personen. Untertitel: "Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern" Der erste Band des vorliegenden Romans erschien im Dezember 1819, der zweite im Dezember 1821. Ein dritter Teil war geplant, wurde jedoch nicht mehr verwirklicht, da E. A. Hoffmann am 25. Juni 1822 nach schwerer Krankheit starb. Der Autor wurde 1776 in Königsberg geboren. Trotz musikalischer und zeichnerischer Begabung studierte er zunächst Rechtswissenschaft, wurde später Assessor und Regierungsrat in Posen. Zu dieser Zeit entstanden auch schon Kompositionen und Erzählungen. 1808 wurde er als Musikdirektor an das Bamberger Hoftheater berufen, 1813 kam er zur Dresdner Oper. Ab 1814 war er dann am Kammergericht Berlin tätig. Weitere bekannte Werke sind: "Die Elixiere des Teufels", "Die Serapionsbrüder".
Zusammenfassung Das Urerlebnis, das E. T. A. Hoffmanns ganzes Werk durchzieht, ist der radikale Dualismus von Ideal und Wirklichkeit, der unlösbare Konflikt zwischen dem gemeinen Alltag und dem hochgespannten Menschengeist, der die Erdenwirklichkeit übersteigen und den Himmel des Ideals erstürmen will. Dieser Dualismus hat in den »Lebensansichten des Katers Murr« seinen reinsten Ausdruck und seine gültigste erzählerische Gestaltung gefunden. Der vollständige Titel lautet auf dem Titelblatt: »Lebensansichten / des / Katers Murr / nebst / fragmentarischer Biographie / des / Kapellmeisters Johannes Kreisler / in / zufälligen Makulaturblättern / Herausgegeben / von / E. Hoffmann«. Die lustige erzählerische Fiktion, kraft der sich durch ein Versehen des Setzers in die eine Biographie Fetzen einer anderen eingeschlichen haben, geht bekanntlich auf Jean Paulsche Anregungen zurück. Auf diesen historischen Zusammenhang brauchen wir hier nicht einzugehen; für uns kommt es nur darauf an, daß jene Fiktion es ermöglicht und entschuldigt, daß zwei fast unverbundene Romanwelten, die nur durch einen sehr dünnen pragmatischen Faden zusammengehalten werden, einander abwechseln und dergestalt immer wieder schroff miteinander konfrontiert haben.
Im Aufbau ähnelt Kater Murr Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre, aber auch Nicolais Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker und Laurence Sternes Tristram Shandy. Der Roman arbeitet mit zahlreichen literarischen Anspielungen, da sich sowohl Murr als auch Kreisler in ihren Aufzeichnungen gerne als überaus gebildete Personen auszuweisen bemüht sind. Die von manchen Forschern vertretene Ansicht, man könne jene literarischen und philosophischen Zitate losgelöst von ihren beiden Protagonisten betrachten, lässt jedoch deren spezifische Charakterzeichnung außer Acht. Insbesondere die ironische, teils sarkastische Überzeichnung des Katers als eines höchst eitlen und selbstgefälligen Schwärmers, bleibt dabei unberücksichtigt: Er kennt zwar viele Dichterverse, setzt diese jedoch äußerst ungeschickt gerade so ein, dass seine negativen Seiten beleuchtet werden. Amüsant für den Leser, verbindet Murr mühelos das Behagen über Heringstöpfe mit lyrischem Tiefsinn. Hoffmanns Anliegen und Kunst ist es aufzuzeigen, dass übertriebener Enthusiasmus noch lange keinen Künstler macht – ein zentrales Thema, das der Autor bereits in seiner Erzählung Der Sandmann von 1816 behandelt hat.
Mit einem Bein sich aufschwingend in der Welt der Künste und der freien Wissenschaft und mit dem anderen fest verwurzelt in der Hierarchie seiner Zeit? Der er das Wichtigste schenken soll, das es für sie gibt – einen vollständig gebildeten Menschen. Wie sehr muss das an ihm gezogen haben. Vielleicht war er in seiner Jugend selbst ein Künstler. Vielleicht hatte er geheime Träume und Sehnsüchte und deshalb nur noch ein stilles Lachen für die Verworrenheit unserer Welt. Für unsere Jugend, unsere Torheit und vor allem für seine ungebrochene Sehnsucht danach. Vielleicht galt das erlöschende Lächeln auch gar nicht ihm selbst. Vielleicht galt es uns. Weil er sah, dass sich der Funke nie so einfach weitergeben lässt. Eine Erfahrung, die jeder Lehrer machen muss. Und die bitter ist, wie sonst nichts in seinem Leben. Aber vielleicht war er in Wahrheit auch nur ein feister Bürger, der aus seiner verknöcherten Bürgerseele heraus über unsere hochfliegenden Träume lachte und sich dabei eine blutige Nase holte.
In der festen Überzeugung, noch immer der verwegene und draufgängerische Held seiner Jugend zu sein, obwohl sein Spiegelbild schon lang von einer Lüge zeugt. Ihm gegenüber steht Johannes Kreisler, der geniale Künstler, der dämonisch schöpferische Mensch, dem das Leben der Anderen nur Spiel und Bühne ist, nur Material, aus dem er seine Träume webt. Dem am Ende nur der Ausweg in den Wahnsinn bleibt, der Untergang seiner Seele, während der Philister weiter am warmen Ofen sitzt und sich die dicken Beine wärmt. Und doch, im Grunde ist es ein Gespann, das sich gegenseitig bedingt und braucht! Genauso verschlungen wie Künstler und Bürger seit Jahrhunderten sind, der eine als Material und Grundstoff allen Lebens, der andere als mahnende Erinnerung an das leidende Selbst, genauso verschlungen ist auch dieses Buch. Die Erzählung des wunderbaren E. T. A. Hoffmann, das zu lesen es sich lohnt. Heute verstehe ich auch das Lächeln meines Professors besser. Denn ist nicht auch ein Lehrer, ganz wie das dämonische Werk aus Hoffmanns Feder, ein seltsames Zwitterwesen?