Doch kaum hat er die Schale mit dem Gift an den Mund gesetzt, als Glockenklang und Chorgesang ihm "des Osterfestes erste Feierstunde" künden. Überwältigt von Jugenderinnerungen und dem Auferstehungswunder des Osterfestes, fühlt er sich der Erde neu zurückgegeben. Zwei Seelen in der Brust. Auf seinem Spaziergang vor die Tore der Stadt blinzelt Doktor Faust in die Sonne. Der Anblick der Sonne ruft in ihm aufs Neue die metaphysische Sehnsucht wach, und er gelangt zur Selbsterkenntnis: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen. " Auch am Ostermorgen des Jahres 2020 liesse sich zusammen mit allen Gelehrten und Doktores dieser Welt ausrufen: Zwei Seelen wohnen, ach! in unserer Brust! Wollen wir die Menschen einsperren hinter den Toren der Stadt? Vermögen die herkömmlichen Wissenschaften, insbesondere die Medizin, dem Menschen noch etwas zu geben? Die Versuchung ist gross, mit geheimnisvollen Formeln den Erdgeist zu beschwören. 1.1: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust (Faust) – Spirituelle Lebensführung. Bringt ein Osterspaziergang vor die Tore der Stadt, also eine Öffnung, die Erleuchtung?
Der Künstler selbst äußert sich dazu wie folgt: "Die Spaltung der Seele, … die wie zwei zusammengebundene Vögel jeder nach seiner Seite streben … ein fürchterlicher Kampf im Käfig der Seele. " (Munch-museet. Oslo 2007) Philosophie: Arthur Schopenhauer auf die Frage, wer er sei: "Im Herzen steckt der Mensch, nicht im Kopf. Zwar sind wir gewohnt, … das gewohnte Ich als unser eigentliches Selbst zu betrachten. …Dieses ist aber bloße Gehirnfunktion und nicht unser eigenstes Selbst, … das, wenn das [Ich] im Tode untergeht, unversehrt bleibt. " Hinduismus: Das heilige Buch der Hindus, die Bhagavad Gita, beschreibt den Menschen auf folgende Art und Weise: "Zwiefach ist aller Wesen Art; teils göttlich, teils niederer Natur. " (XVI, 6); zudem lässt die Gita Gott Krishna über sich sagen: "Ich bin der Gott, das ew'ge Selbst, das jedem Wesen innewohnt. Zwei seelen wohnen ach in meiner brest.aeroport. … (X, 20) Islam:Der Sufi-Mystiker Ibn Arabi schreibt im 13. Jahrhundert: "Wisse: Die menschliche Geschöpflichkeit besteht aus Geistseele (ruch) … und Triebseele (nafs) …" Christentum: In der spirituellen Sichtweise des Christentums lässt Johannes den Nazarener folgendermaßen zu Wort kommen: "Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke. "
"Oder ich ziehe mich zurück und suche mir eine imaginäre Insel", sagt er. In den vergangenen Jahren sind Hunde stete Begleiter in Uwes Leben, auch, um ihn zu stabilisieren und auszugleichen. Doch Anita, seine letzte Hündin, muss er im Sommer vergangenen Jahres einschläfern lassen. Seine Mutter, die ihm zeitlebens engste Vertraute war, stirbt bereits ein halbes Jahr zuvor im Dezember 2018. Uwe wird Alleinerbe. Er will das Haus verkaufen und wieder nach Österreich, ein allerletztes Mal. Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. "Ich werde einige Menschen vermissen. Aber ich blicke nicht zurück", sagt Uwe. Vielleicht hat seine Rastlosigkeit dann ein Ende und er eine neue Heimat. Dieser Text erschien zuerst in Auepost #11 (September 2020)