Dazu liefert Ruge keine Thesen oder Erklärungsversuche. Zum Glück findet Radisch, denn so gelingt Eugen Ruge etwas, das geschichtlich betrachtet paradox klingt, literarisch dafür aber umso wirksamer ist: die atmosphärische Desillusion. Die Tageszeitung, 27. 08. 2011 Ganz hingerissen zeigt sich Rezensent Dirk Knipphals von Eugen Ruges Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Dabei hat er durchaus einige kleinere Einwände. Als DDR-Roman nämlich scheint ihm das Werk, das die Geschichte einer Familie über vier Generationen, durchaus "konventionell". Da gibt es eine Reihe von Szenen, die ihm aus der "DDR-Aufarbeitungsliteratur" bekannt vorkommen: Grundausbildung beim DDR-Grenzschutz, Trabbifahren, Weihnachtsfeste, Tauschhandel, schlechte Restaurants und ein Gang durch den winterlichen Prenzlauer Berg in den siebziger Jahren. All diese Szenen findet er geradezu "großartig", in der Summe dann aber fast zu "akkurat" erzählt. Richtig begeistert hat ihn an dem Buch, wie Ruge die Familiengeschichte erzählt: höchst gekonnt, multiperspektivisch sowie ohne "Nach-Wende-Ironie" oder "dissidentischen Furor", sondern mit großer Umsicht und Gelassenheit.
Ein filmisches Gesellschaftsbild, in dem Wege und Irrwege des 20. Jahrhunderts am Beispiel einer auseinanderbrechenden Großfamilie aufgezeigt werden. Quelle: 67. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Jeder bekommt eine eigene Stimme, die sich auch in eigener Sprache zeigt. Alexander aber fehlt bei Wilhelms Feier. Er hat die DDR verlassen. So konnte er sich nicht – wie gewohnt – um den Ausziehtisch kümmern, auf dem das Buffet angerichtet werden soll. So kommt es zu kleinen Zusammenbrüchen im großen. Sie spiegeln sich in einem Panoptikum aus Nachbarn, Funktionären und Partei-Schranzen, die den Wind schon spüren, in den sie ihr Mäntelchen bald hängen werden. In dem immer düsterer und bedrückender wirkenden Haus voller ausgestopfter Tiere ist der Jubilar das Oberhaupt einer Saurierversammlung. Komisch und entsetzlich zugleich, wenn er schließlich leise singt: "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht... " Senil zwar, aber alles dominierend. Die in dieser wiederkehrenden Szene unvermeidbaren Redundanzen erweisen sich als Stärke des Romans, ermöglichen sie doch mehrschichtige Porträts der Kommunisten, Karrieristen und Zweifelnden. Wilhelms Sohn Kurt war in der Sowjetunion interniert, weil er 1941 in einem Brief über den "Freundschaftsvertrag zwischen Stalin und Hitler" geschrieben hatte, "die Zukunft werde erweisen, ob es vorteilhaft sei, mit einem Verbrecher Freundschaft zu schließen".
Vor allem zeigt das Buch für ihn Familie als einen Erzählzusammenhang, aus selbstgebastelten und mehr oder weniger erfundenen Geschichten. In dieser Hinsicht geht das Werk für Knipphals weit über einen konventionellen DDR-Roman hinaus.
Doch nicht nur dieser Generationen- und Überzeugungskonflikt ist ein zentrales Thema des Romans. Hinzu kommt noch die Gegenüberstellung von weiblichen und männlichen Darstellern. Dabei wird nur allzu deutlich, dass der Autor alle Positionen männlicher Darsteller in ihren weiblichen Gegenpositionen mehrfach multipliziert. Gerade die Frauen sind die eigentlichen Hauptakteure im Roman, da sie neben den Tätigkeiten des täglichen Lebens Positionen beziehen und leidenschaftlich für diese eintreten, während die Männer eher Zaudern und Zögern. Bei dieser inhaltlichen Fülle, die das Buch umreißt stellt sich natürlich zwangsläufig die Frage: Was will es, was kann es, was ist es? Familienroman? Gesellschaftskritik? Historienbild? Keines von all jenen? Stellt man sich diesen Fragen nach der Lektüre wird einem schnell klar, was das Problem des Romans ist. Weder das eine noch das andere kommt deutlich heraus. Zum Familienroman fehlt die persönliche Tiefe der Personen. Der Gesellschaftskritik mangelt es an kontrovers diskutierten Thesen bezüglich der unterschiedlichen Gesellschaftsmodelle und für eine Historienbetrachtung ist der Roman viel zu abstrakt und künstlerisch fragmentiert….
Am Ende, wenn Patriarchen und Systeme dahingegangen sind, hat Overath nicht nur eine spannende Chronik der Wende gelesen, sondern auch einen melancholischen Text über Vergänglichkeit, der jegliche Ideologie relativiert. Die Zeit, 06. 2011 Im Aufmacher der Zeit-Literaturbeilage widmet sich Iris Radisch den drei Romanen von Oskar Roehler, Josef Bierbichler und Eugen Ruge, denen Radisch zufolge eines gemein ist: die Familie entthront in ihnen das Ich als Souverän. Eugen Ruges Vater Walter gehörte als Historiker zum intellektuellen Establishment der DDR, doch geht es dem Autor nicht um die ideologischen Verirrungen seines Vaters oder um Schuldzuweisungen, sonder im Gegenteil um die Versöhnung mit der Kriegsgeneration. Der Vater erscheint im Roman als ein Mann, der im Gulag die Zähigkeit erprobte, die es brauchte, um die Familie zusammenzuhalten. Ruge gehe es um die Schaffung eines Erinnerungsraumes, "jenseits von Schuld und Sühne", erklärt Radisch, die jedoch nicht sagt, wie überzeugend sie das findet.