Da stand er nun, der "Fridderich" Merz, wie ihn sein CDU-Fraktionskollege Wolfgang Bosbach stets nannte. Schlaksig, braungebrannt, ernst und auch ein bisschen lächelnd stellte er am Montagnachmittag in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin sein neues Buch vor. Der Titel passt zum historischen Augenblick wie Atze Schröder zu Marcel Reich-Ranicki: "Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft" Fernsehkameras surrten, Fotografen klickten, als der frühere Fraktionschef der CDU/CSU im Deutschen Bundestag und einstige Antipode von Angela Merkel zugab, dass der Buchtitel einigen Zeitgenossen "provozierend", ja möglicherweise "vollkommen abwegig" vorkommen könnte. Mehr kapitalismus wagen wege zu einer gerechten gesellschaft man. Alle Welt halte derzeit ja gerade die Turboausgabe des Finanzkapitalismus für die Ursache der gegenwärtige Krise. Natürlich habe auch er sich gefragt, ob der Zeitpunkt seines Plädoyers für mehr Kapitalismus glücklich gewählt sei. Rasch aber sei ihm klar geworden: "Ich hätte mir keinen besseren Zeitpunkt wünschen können. "
Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft München/Zürich: Piper 2008; 217 S. ; 19, 90 €; ISBN 978-3-492-05157-6 Das sinkende Vertrauen in die Marktwirtschaft nimmt Merz zum Anlass, gegen den Zeitgeist eine Lanze für den Kapitalismus zu brechen. Die Forderung, mehr Kapitalismus zu wagen, bedeutet für Merz eine Rückbesinnung auf Erhards Konzeption der sozialen Marktwirtschaft. Mehr kapitalismus wagen wege zu einer gerechten gesellschaft restaurant. Beständig wehrt sich Merz mittels eines argumentativen Dreisprungs dabei gegen das Bild des eiskalten Turbokapitalismus: Kapitalismus, Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und Freiheit seien die Grundlagen für Wohlstand, ökonomische Stärke und politische Handlungsmöglichkeiten, die im dritten Schritt zu größtmöglicher Gerechtigkeit (insbesondere zwischen den Generationen) und sozialem Ausgleich führten. Die Marktwirtschaft sei damit aus sich heraus sozial gerecht und als Wirtschaftssystem alternativlos. Merz kritisiert die aktuelle Politik der großen Koalition und zeigt wirtschaftspolitische Lösungsvorschläge insbesondere für die Sozial-, Steuer-, Innovations- und Bildungspolitik auf.
Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und sozial integriertes Leben der Arbeitsplatz? Leben Rentner nicht selbstbestimmt? Sind Kinder nicht sozial integriert? Haben Generationen von Frauen, die sich um Heim und Kind kümmerten, umsonst gelebt? Es wäre schön, wenn Merz diesen fundamentalen Satz in seiner Philosophie begründet hätte. Stattdessen stolpert er nun in das nächste Dogma, nämlich dass Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Er stellt die Sache somit auf den Kopf. Nicht Arbeit schafft Produkte und Leistungen für ein erfülltes Leben sondern Arbeitsplätze müssen erzeugt werden, damit wir eben Arbeit haben. Friedrich Merz: Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft - Perlentaucher. Die Krönung ist dann die Forderung, Anreize zu schaffen, um Arbeitsangebote aufzunehmen. Wenn Arbeit nur deshalb nötig ist, um selbstbestimmt Leben zu können, dann heißt das nichts anderes, als dass hier die Menschen gezwungen werden sollen, selbstbestimmt zu leben. Doch Zwang zur Selbstbestimmung - was soll das sein? Zwang zur Freiheit? Gerade Merz, der in diesem Buch immer wieder an die Freiheit appelliert, kann sich diese anscheinend nur mit einem Zwang vorstellen!
Nun sei der Aufbau einer europäischen Rating-Agentur sowie einer zentralen Bankenaufsicht geboten. Ausdrücklich lobte er das finanzielle Rettungspaket der Bundesregierung – namentlich Peer Steinbrück und Angela Merkel. Soviel wurde deutlich: Das Buch als "Diskussionsbeitrag in meiner Partei" – kleiner Hinweis an alle, die mutmaßen, er könne doch zu Westerwelles FDP wechseln – löst gewiss nicht die "Akzeptanzkrise der Marktwirtschaft". Vielleicht aber kann es die gerade ausgebrochene Debatte befeuern: "Die Deutschen sollten den Kapitalismus verstehen, damit er gerettet werden kann", heißt es am Schluss der 200-seitigen Streitschrift. Mehr kapitalismus wagen wege zu einer gerechten gesellschaft e. "Und retten müssen wir den Kapitalismus, denn ohne Kapitalismus gibt es keinen Sozialstaat, und ohne Sozialstaat gibt es keine soziale Gerechtigkeit. " Eben dies sahen die beiden Gesprächspartner, die am Montagabend zusammen mit Friedrich Merz in der Talkshow "Beckmann" saßen und politisch Paroli bieten sollten, ganz anders – Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und jetziges Attac-Mitglied sowie Harald Schumann, Journalist und globalisierungskritischer Autor.
Aus der richtigen Erkenntnis, dass wir nicht von den Früchten unserer eigenen Arbeit leben, leitet Merz flugs ab, jeder sei "verpflichtet, den Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, zu dem er in der Lage ist" (Seite 24). Also ein Arbeitszwang, schlimmer als in totalitären Systemen, wo man sich mit Mittelmaß durchschlagen kann und die wenigsten leisten, wozu sie in der Lage sind. Wäre dann ein intelligenter Autor nicht auch in der Pflicht, sein Manuskript so lange durchzuackern, bis es schlüssig ist? 9783492258647: Mehr Kapitalismus wagen: Wege zu einer gerechten Gesellschaft - AbeBooks: 3492258646. Würde Merz die Pflicht meinen, die jeder an sich selbst stellt, ich könnte ihm zustimmen. Das meint er aber ganz offensichtlich nicht, wie das restliche Buch zeigt. Da es diesem Buch mit dem Untertitel "Wege zu einer gerechten Gesellschaft" einfach an Tiefgang fehlt, kommt so manche Plattheit aufs Papier, dass man fast froh sein muss, sie hier einmal so nackt zu sehen. Zum Beispiel wenn er davon spricht, dass die Sozialversicherungen ein Drittel unserer volkswirtschaftlichen Leistung "verbrauchen", dass sie das Sozialprodukt "absorbieren" und am Wohlstand des Landes zehren (Seite 138).