Denn nur so konnten wir uns davon überzeugen, dass das Ergebnis tatsächlich genießbar ist. " Wie zur damaligen Zeit üblich hat die Benediktinerin viele ihrer Heilmittel als Küchlein verordnet. In einen Teig aus Weizen-, Bohnen- oder Semmelmehl, Wasser und manchmal auch Ei wurden die pulverisierten Pflanzenteile einfach mit eingeknetet. Diesen hat man dann zu einer Rolle geformt oder auf einem Brett flach ausgedrückt und kleine Kekse herausgeschnitten, die in der Sonne oder über dem Ofen trockneten. Der Leidende aß morgens auf nüchternen Magen oder zu den Mahlzeiten eines oder zwei der Plätzchen oder löste sie in einem Glas Wein auf. Auch zu Auflagen oder Salben wurden die Törtchen weiterverarbeitet. Die fein gemörserten oder gemahlenen Wurzeln konnten genauso aufs Brot, in die Suppe oder den Tee gestreut werden – doch Hildegard von Bingen nahm an, dass sich die positive Wirkung der Pulvermischungen in den Küchlein noch steigerte. "Viele Rezepturen der Heiligen lassen sich heute noch ohne Weiteres anwenden", resümiert der Autor, dessen Werk "Das große Buch Klosterheilkunde" (Zabert Sandmann Verlag, 14, 95 Euro) Mitte November erscheint.
Allerdings beschrieb Hildegard von Bingen erstmalig heimische Pflanzen und Wirkungsweisen, die bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Eingang in die verschriftliche Heilkunde gefunden hatten. Ihr ganzheitlicher Gedanke zu Krankheit und gesundem, erfüllten Leben waren im hohen Mittelalter ein durchaus ungewöhnlicher Ansatz und muten selbst nach 900 Jahren noch modern an. Rezepte nach Hildegard von Bingen Grippepulver "Nimm daher Geranium (Kranichschnabel, englisches Geranium) und weniger Bertram als Geranium, und Muskatnuß, weniger als Bertram, und mische dieses Pulver zusammen, und wer Herzschmerzen hat, der esse dieses Pulver entweder mit Brot oder ohne und lecke es aus seiner Hand, und es wird ihm besser gehen, weil es ein sehr gutes Pulver für die Herzgesundheit ist. " Quelle: Handbuch der Hildegard-Medizin, Dr. Gottfried Hertzka/Dr.
Hildegard von Bingen empfahl, eine Mischung aus Kümmel, Pfeffer und Bibernelle aufs Brot zu streuen – "um in den Eingeweiden die warmen und kalten Säfte, die die Übelkeit verursachen", zu unterdrücken. Vor allem aber sah sie den Kümmel als ein Mittel zur Linderung von Erkältungskrankheiten. Hier zeigt auch die in ihren Kümmelküchlein ebenfalls vorhandene Bibernellwurzel ihre Wirkung. Der Forscher: "Die Äbtissin sprach der Pimpinella saxifraga zwar eine direkte Heilkraft ab, aber heute ist ihre Anwendung bei Katarrhen der oberen Atemwege anerkannt. Die Wurzel lindert den Husten und hat eine schleimlösende Wirkung. Auch bei Entzündungen in Mund und Rachen hat sie sich bewährt. " Eine weitere Pflanze, die die Klosterfrau sehr schätzte, ist der heute kaum noch bekannte Galgant (Alpinia officinarum). Im 12. Jahrhundert war die aus Südostasien stammende Wurzel, die dem Ingwer verwandt ist, als Arzneimittel so beliebt, dass ihre Fälschung ein lukratives Geschäft war. Ihre Inhaltsstoffe wirken krampflösend und entzündungshemmend, ihr würziges Aroma regt die Verdauung an.
Muskat, Zimt und Nelken Eine Art Universalmittel zur Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens sah die Äbtissin in der Muskatnuss, die in der Volksmedizin vor allem bei Krankheiten des Verdauungssystems eingesetzt wurde: Die Wirkstoffe von Myristica fragrans sollten "das Herz öffnen, den Sinn reinigen und einen guten Verstand bereiten". Mit einer aus Muskat, Zimt und Nelken hergestellten Mischung kann man Joghurt, Kakao, Kaffee oder Tee würzen – oder sie einem Teig aus 500 g Mehl, 250 g Butter, 15 g Honig und zwei Eiern beifügen und daraus Küchlein backen. "Der dabei mitverarbeitete Zimt – Cinnamomum aromaticum – gehört zu den ältesten bekannten Gewürzen, die gleichzeitig auch in der Heilkunde genutzt wurden", erklärt Dr. Johannes Mayer. "Zur Förderung des Stoffwechsels und zur Linderung von Gicht hat ihn die Ordensfrau auch gern einem Glas Wein zugesetzt und dieses leicht erhitzt, um die Wirkung zu verstärken. " Ebenfalls in hohem Ansehen standen in der Klostermedizin die Kümmelfrüchte (Carum carvi), deren Einsatz bei Verdauungsbeschwerden wie Völlegefühl, leichten Krämpfen im Magen-Darm-Bereich und Blähungen heute wissenschaftlich anerkannt ist.
"Nur bei der Zubereitung der Ingwerküchlein mussten wir die leicht giftige Springwolfsmilch durch Löwenzahnsaft ersetzen. Außerdem wurden die Mengenangaben den gebräuchlichen Maßeinheiten angepasst. " Ingwer ist ihr großer Favorit Der eben genannte Ingwer gehört zweifellos zu den Favoriten der heilkundigen Nonne – innerhalb der "Physica" ist ihm das größte Kapitel gewidmet. Auch die moderne Arzneikunde spricht dem Zingiber officinalis viele positive Eigenschaften zu. So gehört er zu den besten Mitteln gegen Übelkeit, er regt die Verdauung an, schützt vor Erkältungskrankheiten, senkt die Blutfettwerte und soll sogar bei rheumatischen Erkrankungen hilfreich sein. Mit Ingwer gebackene Küchlein empfahl die Benediktinerin täglich nüchtern und nach dem Essen einzunehmen, um den "Unrat des Magens" zu mindern. Ein Rat des Historikers: "Bei der Zubereitung sollte man den Pflanzensaft nur tropfenweise zugeben, damit der Teig schön fest wird. Wichtig ist ebenfalls, die Törtchen nicht zu heiß oder zu lange zu backen. "