Das "Ja" von Hans ist so verlogen wie alle "Ehen in Philippsburg", die Stephan Kimmig ins Schauspielhaus bringt. Mit den "Ehen in Philippsburg", dem kaum verschlüsselten Sittenbild der Stuttgarter Society, hat 1957 die Karriere des vom Bodensee stammenden Martin Walser begonnen. Mittlerweile thront er im Olymp der deutschen Gegenwartsliteratur und beeindruckt als unangefochtener Meister mit einer bis heute nicht versiegenden Schaffenskraft. Unzählige Romane hat er seit seinem Erstling vorgelegt, dazu Theaterstücke, Hörspiele, Tagebücher und Essaybände, doch das sechzig Jahre alte Debüt gehört noch immer zu seinen stärksten Werken. Demnächst, am 24. Ehen in philippsburg+inhaltsangabe 1 kapitel (Hausaufgabe / Referat). März, wird Walser neunzig, weshalb die von Kimmig und dem Dramaturgen Jan Hein souverän zum Drama umgemodelten "Ehen in Philippsburg" dem Jubilar gewidmet sind. Die Bürger gehen auch über Leichen Das ist eine noble Geste, zweifellos, doch über den Geburtstagsgruß hinaus bietet die Aufführung noch etwas anderes: Sie macht mit einem Roman bekannt, der zu gut, zu böse, zu treffsicher und zu frisch ist, um ihn im Literaturkanon vermodern zu lassen.
Worum es Walser geht, zeigt Kimmig bereits am Anfang seiner streng dem Roman und seiner Entstehungszeit verpflichteten Adaption. Über die Gardinen einer Nachkriegsvilla lässt er eine "Wochenschau" von 1957 flimmern: Der Handel kommt in Schwung, die Goldreserven wachsen – und nachdem auch der einmillionste Teilnehmer des Fernsehens begrüßt worden ist, wirft die Kamera einen Blick in ein Schaufenster, dessen Auslagen vom "Wirtschaftswunder" künden, das die Menschen gerade beglückt. Wie es zu diesem Sturm an Produktivität und Konsum kommen konnte, welcher Preis dafür zu zahlen war, das wiederum beleuchtet Walser mit einer Detailfülle und Scharfsicht, die ohnegleichen ist: Seine Figuren sind besessen vom Aufstieg, sie streben nach Geld, Macht, Einfluss und gehen dabei – als Kollateralschaden – auch über Leichen. Ehen in philippsburg - AbeBooks. Was die hyperaktiven Karrieristen dabei unterlassen, ist der Blick in die Vergangenheit: Mit tösendem Schweigen verdrängen sie das Trauma der Kriegsjahre. Der Verlust des historischen Gewissens entbindet sie von der Selbstanklage und macht sie frei für Expansionen jeglicher Art.
Der dreißigjährige Autor hat versucht, den Karrieren, Ehen und Abendunterhaltungen neudeutscher Erfolgsmenschen einen Gesellschaftsroman abzugewinnen. Er stößt einen arg- und kraftlosen Provinzjüngling namens Hans in das Phrasen- und Interessen-Dschungel einer Großstadt, zwischen Industrieherrscher und Kulturfunktionäre. Dort richtet sich Hans ohne langes Widerstreben ein - wie sein am Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart tätiger Autor Walser. Die hohen und warmen Worte der Manager, die sich als unverbindliche Tricks im Machtstreit erweisen, die grobschlächtigen und verborgenen Liebschaften der Bundesbürger werden von Walser mit aufrichtigem Befremden, doch ohne reformatorischen Eifer geschildert. Seine gerechte, wenngleich resignierte Verdrossenheit und eine sachlich erklärende, stellenweise auch mutig bebilderte Sprache brachten Walsers Roman den Hesse-Preis 1957 ein. Ehen in philippsburg inhalt de. (Suhrkamp-Verlag, Frankfurt. 421 Seiten. 16, 50 Mark. )