Pure Vernunft darf niemals siegen, Wir brauchen dringend neue Lügen. Die uns durchs Universum leiten Und uns das Fest der Welt bereiten. Die das Delirium erzwingen Und uns in schönsten Schlummer singen. Die uns vor stumpfer Wahrheit warnen Und tiefer Qualen sich erbarmen. Die uns in Bambuskörben wiegen Pure Vernunft darf niemals siegen. Die uns den Schatz des Wahnsinns zeigen Und sich danach vor uns verbeugen. Und die zu Königen uns krönen, nur um uns heimlich zu verhöhnen. Und die uns in die Ohren zischen Und über unsere Augen wischen. Die die die uns helfen wollen bekriegen, Die unsere Schönheit uns erhalten, uns aber tief im Inneren spalten. Viel mehr noch, die uns fragmentieren Und danach zärtlich uns berühren. Und uns hinein ins Dunkel führen, Die sich unserem Willen fügen. Und uns wie weiche Zäune biegen, Wir sind so leicht, dass wir fliegen, Wir sind so leicht, dass wir fliegen (fade out)
99 Arbeit zitieren Bachelor of Arts (B. ) Bianca Dragut (Autor:in), 2012, Tocotronic über die Aufklärung, die pure Vernunft und die Dringlichkeit neuer Lügen. Der Songtext "Pure Vernunft darf niemals siegen", München, GRIN Verlag, Ihre Arbeit hochladen Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit: - Publikation als eBook und Buch - Hohes Honorar auf die Verkäufe - Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN - Es dauert nur 5 Minuten - Jede Arbeit findet Leser Kostenlos Autor werden
Pure Vernunft darf niemals siegen ist das siebte Studioalbum der deutschen Indie-Rock -Gruppe Tocotronic, das im Januar 2005 erschien. Das Album, das innerhalb von nur neun Tagen produziert wurde, erweckte bei seiner Veröffentlichung beträchtliches Interesse der Medien, stand neun Wochen in den deutschen Albencharts und erreichte dabei den dritten Platz. Stil Bearbeiten Das Album zeichnet sich im Gegensatz zum Vorgängeralbum durch eine instrumentale Reduktion auf Gitarre, Bass und Schlagzeug aus, bei einfach gehaltenen Songstrukturen. Die Band wollte einen "asketischen Sound". [1] Dazu im Gegensatz stehen die Texte, "in denen die Regeln der Physik und des gesunden Menschenverstands lustvoll gebrochen werden; poetischer klangen Tocotronic nie. " [2] Damit wenden sich Tocotronic gegen eine ihrer Meinung nach in der aktuellen Kunst stark ausgeprägten Hinwendung zur Gegenwart ("totalen Willen zur Realität", "Flucht zur Realität", Dirk von Lowtzow [3]) Rezensionen Bearbeiten "Der Zauber von Dirk von Lowtzows Traumlyrik liegt ja nach wie vor im Unnennbaren, in den Leerstellen und namenlosen Orten [... ]" (J. Wigger, Spiegel online [4]) "Ein bisschen hinterherweinen möchte der Anhänger dem ironischen Rock-Aufbruch der frühen Tage aber schon.
Müpften Tocotronic einst dagegen auf, dass die Welt sie nicht verstand, ist ihnen das heute grad egal. Auch wenn sie dabei lalala singen und sich wie die eine Kreuzung aus Deleuzianern, Surrealisten und Situationisten auf kosmischen Umherschweif-Projekten aufführen, so hat das nichts mit neuer deutscher Innerlichkeit zu tun. Sondern mit einem Haken, den sie der eigenen Zeitgeistigkeit schlagen.
Auf allen Seiten aber liegt drum herum das Irrationale, das mit Vernunft nicht Übereinstimmende. Und dieses Irrationale ist ebenfalls eine psychologische Funktion, eben das kollektive Unbewusste, während die Vernunft wesentlich an das Bewusstsein gebunden ist" (C. G. Jung, Über die Psychologie des Unbewussten). Es kann gefährlich sein, sich nur mit der Vernunft zu identifizieren. Keine Aufklärung kann verhindern – nur verdrängen –, dass das Irrationale zum Menschen gehört. Der Mensch ist nicht bloß vernünftig und wird es niemals sein, betont Jung. Wer das Göttliche (in seiner Psyche) verdrängt, läuft Gefahr, dass es als Dämon wieder zutage tritt. Dies ist nicht zuletzt eine Ansage an jede Religion: Wenn sie sich zu einem einseitig verklärten "Wahrheitsbesitz" versteigt, wird der eigene Schatten immer mächtiger, was sich in Ausgrenzung und Verteufelung Andersdenkender äußert. Die Religionsgeschichte liefert eine Reihe von Beispielen für eine solche "Moral", die über Leichen geht. Ehrlicher ist es da und vor allem menschlicher, wie Dirk von Lowtzow von Zweifeln, von Süchten und persönlichen Abstürzen erzählt, vom Leben in Großstädten am Rande des Wahnsinns: "Ich habe Stimmen gehört", ein Songtext, der in seiner visionären Schönheit nach wie vor Maßstäbe setzt und in meiner persönlichen Hitliste nur von "Schatten werfen keine Schatten" übertroffen wird: "Ich habe Stimmen gehört / Ich habe Dinge gesehen / Die waren so schön / Wie nichts auf der Welt / Ich hab die Schwelle gekreuzt in die Unendlichkeit / Der Weg war weit / Ich war wie Treibholz der Zeit. "
In den folgenden Versen der ersten Strophe bezieht sich das Relativpronomen "Die" auf die neuen Lügen und schildert ihre Funktionen, welche vorerst einen positiven Charakter aufweisen. Natürlich kann man, bei einer kritischen Auseinandersetzung über die schwülstigen Formulierungen der positiven Eigenschaften von den neuen Lügen, die Behauptung aufstellen, dass diese eher ironisch gemeint sein könnten. Die Strophe endet mit der erneuten Titelaussage, beginnt in der zweiten Strophe wieder mit ihr und der erneuten Feststellung über die benötigte Dringlichkeit neuer Lügen. Da sich dies in allen drei Strophen wiederholt, haben die Aussagen eine besonders kraftvolle Wirkung im Sinne eines stilistischen Mittels. Bis in Vers 5 der zweiten Strophe werden weiterhin die positiven Funktionen von neuen Lügen mittels Relativpronomen aufgezählt. Mit Vers 6 wechselt der positive Charakter der Lügen mit der Erklärung: "Nur um uns heimlich zu verhöhnen". Das ist der Wendepunkt im Songtext nach welchem sich die weiteren drei Verse ebenso negativ verhalten.
Wenn eine Band wie Tocotronic, die durch die Diskurs-Klassen der Hamburger Schule gereicht wurde und sich über das Spiel mit der Naivität definiert hat, Anschluss an die ewigen Fantastereien des Pop sucht (und findet), wird ein Stück originärer Popkultur endgültig verabschiedet. Ein Reifungsprozesses, der kaum mehr zu verhindern war. "(F. Sawatzki, Die Zeit [5]) "Lowtzow besticht auf diesem Album mit zwei zentralen Dingen: Erstens hat er seinen Gesang verbessert, was auf eindrucksvolle Weise auf den meist sanften Kompositionen zur Geltung kommt. Zweitens hat er sich von seiner Zweitband Phantom/Ghost inspirieren lassen, noch tiefer in jene "tiefsten Tiefen" der menschlichen Seele einzudringen. Die Texte lesen sich wie eine Art Psycho-Anthropologie, der Glaube an ein Lovecraft'sches, undefiniertes Böse ist allgegenwärtig, doch die Liebe triumphiert. " (S. Seiler, 3sat Kulturzeit [6]) "Die trotzige Hamburger Schule ist zu einem Graduiertenkolleg geworden, Fachrichtung "Schönheit, Gitarren und Selbstverlust".